Theater Triebwerk beweist exzellent: „Die Erde ist rund“
Phileas Fogg ist ein Visionär. Nach der Öffnung des Suezkanals erscheint 1869 plötzlich vieles möglich. Mit einem seiner Whist-Spielfreunde sitzt er im zigarrenrauch-vernebelten Zimmer und sinniert. Eine Weltreise müsste man machen. Eine komplette Erdumrundung in 80 Tagen. Eigentlich heißt der Mann George Francis Train und seine beim ersten Versuch verlorene Wette war der Stoff, aus dem Jules Vernes den Roman „In 80 Tagen um die Welt“ baute. Es ist ein Motiv, das sich seither in der Welt der Geschichten immer wieder findet. Und obwohl eine Weltreise im Vergleich zu damals an spektakulärer Wirkungskraft verloren hat, bleibt der Gedanke in seiner Waghalsigkeit und Bedingungslosigkeit ein höchst poetischer: Die Welt zu erfassen, ihre Größe und Mannigfaltigkeit am eigenen Leib zu erleben, jenseits von Schulgeographie.
Die Erde hängt in Form eines großen, weißen Ballons in der Mitte der Bühne des Theaterhauses. Zwei Männer umrunden sie immer wieder. Wechseln die Richtung, jagen sich, versuchen, sich ihrer Dimension zu nähern. Als Spieler sitzen sie als englische Herren mit Visionen und Monokel im Auge zusammen oder mimen einen stotternden Seemann, der den Weg über das Meer ebnen soll. Gleichzeitig verkörpern und illustrieren sie die Geschichte eines Mannes. Diesem wird klar, dass er weiß, dass die Erde rund ist wie eine Kugel. Doch woher weiß er das? Er beschließt, eine Reise anzutreten, bei der er immer geradeaus läuft. Schließlich müsste er dann eines Tages wieder am selben Punkt ankommen, an dem er losgelaufen ist.
Die Geschichte ist von dem Schweizer Autor Peter Bichsel, das freie Theaterkollektiv „Theater Triebwerk“ hat in seiner Bühnenbearbeitung eine kleine Theatercollage gezaubert, die wohltemperiert an der Schwelle zwischen Wissensvermittlung, sinnlichem Erleben und Narration wandelt. Uwe Schade und Heino Sellhorn collagieren unter der Regie von Johanna Stapelfeldt die Ideen dieses Mannes in ihrem Spiel als Führer durch eine kleine Geschichte der Weltumrundung: Während Schade die einfühlsam gesprochenen Textpassagen seines Kollegen mit dem Cello untermalt, kreiert Sellhorn am Mini-Mischpult an anderen Stellen einen Soundteppich für die Listen, die der Mann im Kopf erstellt. Denn fürs Gradeauslaufen braucht man Ausrüstung.
Es geht um die Erweiterung des eigenen Horizonts, um körperliche und geistige Beweglichkeit und – in liebevoll gestalteten Videoprojektionen in Stummfilmoptik und poetischen Bildern – um Geschichtsschreibung. Eine kleine Weltumrundung in nur einer Stunde.
Stephanie Reen – Hildesheimer Allgemeine – 13. September 2010