Lutz Wendler über Theater Triebwerk

Hamburger Abendblatt, Juni 2007

Mit Kleinigkeiten geben sich Uwe Schade und Heino Sellhorn nicht mehr ab. Ihr neuester Coup ist ein Kidnapping, mit dem das Musikleben lahmgelegt werden soll. Die beiden Protagonisten des Theater Triebwerk sind in die Rollen des zwielichtigen Duos – oder besser: Duetts – As und Riff geschlüpft, haben den Kammerton “A” entführt und die üppige Lösegeldforderung von zehn Millionen Euro gestellt.
Ganz so viel kommt am Ende nicht dabei raus. Aber immerhin wurde “Das klingt verdächtig”, die neue Eigenproduktion der freien Gruppe, gerade mit dem ersten Hamburger Kindertheaterpreis ausgezeichnet, der mit 10 000 Euro dotiert ist. Überfällige Anerkennung für das Theater Triebwerk in seiner Heimatstadt. Bittere Pointe: “Das klingt verdächtig” war bislang nur dreimal im Fundus-Theater zu sehen. Die Gruppe ohne festen Spielort hat es nicht leicht, in Hamburg ein Stammpublikum aufzubauen. Bezeichnend auch, dass Triebwerk bei der Bekanntgabe des Preises mal wieder auswärts war, nämlich für ein zweimonatiges Gastspiel (bis zum 28. Juni) mit “Moby Dick” im Theater der Jugend in Wien.
Gerade am fast zehn Jahre alten Longseller “Moby Dick” lässt sich das Dilemma von Triebwerk ablesen. 1995 wurde die Gruppe auf Kampnagel von Theaterprofis gegründet, die allesamt unzufrieden waren mit den Jobs auf und hinter der Bühne, mit denen sie in der freien Szene ihr Geld verdienten. Was sie danach auf die Bühne stellten, war eine Art gelebte Utopie.
Triebwerk brachte jährlich ein, zwei Produktionen für Kinder- und Jugendliche heraus, die zugleich ein erwachsenes Publikum herausforderten und schon bald überregional wahrgenommen wurden. Die Shakespeare-Adaption “Heinrich der Fünfte” und “Der Musterschüler” nach Stephen King wurden zum Kinder- und Jugendtheatertreffen nach Berlin eingeladen. Und “Moby Dick”, eine 70-Minuten-Version des voluminösen Klassikers von Herman Melville für drei Schauspieler, ist seit 1999 im Programm; und unverwüstlich, obwohl die Doppelrolle Ismael/Ahab inzwischen vom vierten Schauspieler (Michael Habelitz) übernommen wurde. Die Inszenierung bekam den mit 50 000 Mark dotierten Bayerischen Theaterpreis 2000, wurde vom Goethe-Institut zu Tourneen durch Indien eingeladen, war in Großbritannien und in den USA unterwegs und sogar zwei Wochen lang am Broadway gespielt. Und jetzt in Wien.
Die Kehrseite der Erfolgsgeschichte ist die Ignoranz daheim. Zwar bekommen die Triebwerk-Produktionen stets Projektförderung, doch wirklich zu Hause einrichten kann sich die Gruppe hier nicht, was vor allem an fehlenden Auftrittsmöglichkeiten liegt. Triebwerk ist mal auf Kampnagel oder im Altonaer Theater, mal im Fundus oder in den Kammerspielen aufgetreten, aber immer nur sporadisch. So fehlt es an der Gelegenheit, neue Stücke etablieren zu können. Was insbesondere für die experimentellen Musik-Krimis “Supervox” und “Das klingt verdächtig” misslich ist, die der Cellist Uwe Schade und der Bassist Heino Sellhorn in ihrer Doppelfunktion als Musiker und Schauspieler gemeinsam mit dem Regisseur Jan Pusch, der eher vom Tanztheater her kommt, erarbeitet haben.
Beide Stücke sind komplett selbst entwickelt, Musik und Körpersprache sind nicht minder wichtig als der Text. Beide zeigen das große Potenzial der Gruppe: denn das innovative Konzept funktioniert auf der Bühne hervorragend, und das Publikum wird für genaues Hinhören belohnt. Sellhorn/Schade erzählen Geschichten oft musikalisch oder in Tönen. Der Diebstahl des Kammertons “A” in “Das klingt verdächtig” beispielsweise wird ausschließlich durch Geräusche nachempfunden, ein brummender Motor, knirschender Schnee, knarrende Türen und ein klickendes Safeschloss werden auf den Instrumenten simuliert.
Beide Stücke sind virtuos und höchst publikumswirksam, doch als Work-in-progress angelegt; sie würden bei häufigem Spiel noch gewinnen. Wünschenswert wären also Auführungsserien an einem festen Ort in Hamburg idealerweise eine feste Bühne für freies Kinder- und Jugendtheater, auf der auch andere Gruppen wie beispielsweise Kirschkern & Compes, die ebenfalls meist außerhalb auftreten, mehr “Heimspiele” hätten. Für Triebwerk ist der Kindertheaterpreis bestätigend und ermutigend, aber eine weitergehende Motivation wäre zum jetzigen Zeitpunkt wichtig. Die Gruppe, die zeitweilig aus sieben, acht Leuten bestand, ist nach einem harten Schnitt im Januar auf den Kern von drei Leuten reduziert: Neben Schade und Sellhorn ist noch der Techniker Holger Duwe permanent dabei.
Ein Schelm, wer das Ende von “Das klingt verdächtig” auf die Situation von Triebwerk überträgt. Im Stück misslingt der große Coup, aber As und Riff alias Schade und Sellhorn (plus Gastschauspielerin Birgit Oswald) sitzen ohne Geld in der exotischen Fremde, sind aber bestens drauf, ihrer Freiheiten und Fähigkeiten voll bewusst. Die Stadt Hamburg aber wäre gut beraten, wenn sie der Gruppe neue Perspektiven eröffnete, denn Theatermacher wie Triebwerk werden in Zukunft mehr denn je gebraucht: In “Supervox” spielen Heino Sellhorn und Uwe Schade zwei Musiker, die die Welt retten, indem sie eine akustische Diktatur verhindern.