Geschichtenverschwörung: Überbordende Fülle

Das Theater Triebwerk zeigt mit “Geschichtenverschwörung” richtig gutes Kindertheater
Nach der Geschichtenverschwörung verharren plötzlich einige Grundschüler wie versteinert im Foyer der Kammerspiele oder werfen sich unvermittelt zu Boden, wo sie reglos liegen bleiben. Offensichtlich begeisterte Echos auf das Stück vom Theater Triebwerk, das auf indischen Volksmärchen fußt und von der Hamburger Gruppe in den vergangenen zwei Wochen auch in Indien gezeigt wurde. Ein versteinerter Erzähler steht am Anfang und Ende des Erzähltheaters, das mit der fast leeren Bühne auf die Macht der Phantasie setzt. Ihr muss die Bahn frei machen, wer sich von Martina von Boxen, Erik Schäffler und Uwe Schade ins indische Figurenuniversum katapultieren lässt.
Gut wäre es, ihnen nahe auf dem bühnengroßen Teppich sitzen zu können. Ein bisschen störend, weil distanzierend, ist die hohe Rampe schon, wenn die drei in rascher Abfolge zwischen den kaum zählbaren Figuren hin- und herschalten. Bauern, Bettler und Brahmanen treffen auf Maharadschas, Prinzessinen und verzauberte Prinzen. Sie alle entstammen vornehmlich Geschichten, die ein alter Erzähler für sich behält – bis die Geister der Geschichten sich gegen ihn verschwören und er sie doch zum besten geben muss.
Folklorefrei in Ausstattung und Musik entsteht eine Art One-World-Theater. Cello und Saxophon sorgen für Stimmungen, ja finden in ihren Rhythmen und Melodien, die Indien nur in Ausnahmenfällen zitieren, zu eigener bilderstarker Sprache. Allenfalls in einzelnen Gesten der Schauspieler oder tänzerischen Sequenzen finden sich asiatische Anleihen. Letztlich kommen einem die exotischen Gestalten, gerne auch mal dezent karikiert, gar nicht so fremd vor. Auch kollidieren die von Erik Schäffler zusammengetragenen Märchen keineswegs mit dem hiesigen Wertegerüst. Und wenn die Konzentration im Parkett doch mal einbricht, dann höchstens wegen der fast überbordenden Fülle der 70 Spielminuten, aber wohl nicht wegen Verständnisproblemen. Ein Stück, das die Kammerspiele auch nach der Weihnachtszeit gut schmücken würde. “Oliver Törner
Oliver Törner – taz Hamburg Nr. 7228 – 8. Dezember 2003

Die Rache der Geschichten
Hamburg – Geschichten haben ihren eigenen Willen: Sie wollen weitergetragen werden. Auch das Theater Triebwerk kann sich dem nicht entziehen: die Hamburger Theatergruppe hat aus Indien Erzählstoff mitgebracht, der weitergegeben werden will. Martina von Boxen, Erik Schäffler und Uwe Schade zeigen in den Kammerspielen, wie es Verweigerern ergeht. Am alten Bauern, der ein großer Erzähler war und jetzt nur noch ein wortkarger “mieser alter Knochen ist”, wollen sich die eingesperrten Geschichten rächen. Doch der Knecht wird Zeuge der “Geschichtenverschwörung” und versucht seinen Herrn zu retten, indem er ihn zum Erzählen verführt. Das Trio entwickelt aus einem Märchen mehrere Erzählfäden, und es entsteht ein zauberhaftes Spiel mit Zwischentönen von Cello und Saxophon über Schicksal und Freiheit.
Lutz Wendler – Hamburger Abendblatt – 15. Dezember 2003