Der Kleine Werwolf: Es ist ein Wunder der Verwandlung

Kulturportal Hamburg
Grusel, grusel: schön schaurig geht‘s los. Dichter Nebel wabert durchs Theater, heraus schälen sich schemenhaft zwei Personen. Moritz, genannt Motte, und seine Freundin Lina. Sie kommen aus dem Kino. Doch auf dem Heimweg werden sie von einem großen Hund bedroht. Schwupp ist die gute Kinolaune verflogen, Motte wird schließlich gebissen. Leicht zwar nur, doch die Schramme hat es in sich …
Atmosphärisch dicht beginnt die Inszenierung von „Kleiner Werwolf“ und bleibt es auch. Erik Schäffler und Nadja Kruse quirlen als frühpubertäres Pärchen Motte und Lina durch Cornelia Funkes spannende Geschichte. Das Theater Triebwerk hat sie als „komischen Kinder-Grusel-Krimi mit Live-Musik“ für die Bühne eingerichtet. Für eine ganze Klangwelt aus merkwürdigem Kratzen, Röcheln und rhythmischen Ohrenschmeichlern sorgt Uwe Schade wunderbar mit seinem Cello. Wahlweise springt er auch in so manche Rolle, etwa als grimmiger Hund oder Nachbar. Dazu bedarf es wie bei den beiden anderen Spielern allenfalls kleinster Requisiten, auch eine Kulisse gibt es nicht. Die Imaginationskraft der spielerisch entwickelten Bilder ist so immens, dass die Fantasie des Betrachters den Bühnenraum mühelos füllt. Und es gibt viel zu imaginieren. Etwa Mottes und Linas Geheimversteck hinter einem Schrank auf dem Dachboden – einzig eine Art Sofa darf hier als Vielzweckmöbel zum Einsatz kommen. Hierhin hat Motte sich verkrochen, als immer deutlicher wird, dass der Biss des unheimlichen Hundes ihn zum Werwolf mutieren lässt. Sehr komisch, wie sich seine Verwandlung ankündigt: Plötzlich rutscht seine Stimme in den Keller. Und die Eltern, in deren Rollen Nadja Kruse und Uwe Schade mal eben schlupfen, entdecken schockiert starken Bartwuchs und gelbe Augen an ihrem Sohn, in dem sie doch eher noch ein Söhnchen sehen. Als erwachsener Zuschauer kann man die Fülle der sich geradezu
aufdrängenden Pubertätssymbole wohl kaum übersehen. Pfiffig, wie die Unterstützung zur Erlösung aus den Nöten grade nicht von den verständnislosen Eltern naht, sondern von der ängstlich wirkenden, aber wider Erwarten doch couragierten Klassenlehrerin (ein schöner Einfall, wie Uwe Schade sich als Hütchen tragende Lehrerin auf dem Cello tremolierend begleitet). Sie hilft, den bösen Zauber zu bannen, und nebenbei den fiesen Biolehrer (!), der sich hinterhältig ins Geschehen mischt, nachhaltig aus der ganzen Angelegenheit zu verscheuchen.
Für die Kinder, die hier ab 10 Jahre willkommen sind, ist das ganze – wie bei der Premiere nicht zu überhören – ein Riesenspaß. Wenn Motte plötzlich über tierische Fähigkeiten verfügt (z.B. einen phänomenalen Geruchssinn, der ihm hilft, allerlei Geheimnisse zu durchschnüffeln) oder mächtig stark wird, versteht sich auch schnell, warum er den Wolf in sich bei aller Abscheu und Angst sogar zu lieben beginnt. Auch wenn die tolle Gabe, im Dunklen sehen zu können, mit dem Zauber verschwindet, ein paar seiner urigen Fähigkeiten behält er zum Schluss doch. Und das erkennt auch Lina durchaus mit Gefallen.
Oliver Törner – Kulturportal Hamburg

Kammerspiele: Der Kleine Werwolf
Es ist ein Wunder der Verwandlung, das auf der Bühne der Kammerspiele gelingt. “Der kleine Werwolf” der freien Hamburger Gruppe Theater Triebwerk nach dem Kinderbuch von Cornelia Funke kommt für das phantasievoll-lustige und manchmal beunruhigende Weihnachtsstück ohne äußerliche Verfremdungen aus, und dennoch gibt es keinen Moment des Zweifels daran, daß die Geschichte vor den Augen des Publikums ersteht. Erik Schäffler, Nadja Kruse und Uwe Schade brauchen weder Kostüme noch Kulissen, um den Grusel-Krimi für Kinder (ab 9) zum Leben zu erwecken.
Erik Schäffler spielt den Jungen Motte, der von einem Werwolf gebissen wird und sich zum eigenen Schrecken verändert: Sein Gehör und Geruchssinn werden unerträglich sensibel, er entwickelt starken Bartwuchs und bekommt eine tiefe Stimme. Gemeinsam mit Freundin Lina erfährt er, daß ihm nur noch zwei Tage Zeit bleiben, um sein endgültiges Wolfsein beim nächsten Vollmond zu verhindern.
Erik Schäffler erweckt das Tier in sich, um den Verwandlungsprozeß zu spielen. Zähnefletschend zeigt er die Zerrissenheit eines Wesens, das zwei gegensätzliche Möglichkeiten in sich hat. Nadja Kruse und Uwe Schade, der das Spiel mit seinem Cello atmosphärisch unterstützt, begleiten im häufigen Rollenwechsel den Weg zum vermeintlichen Happy End. Motte wird zwar dank der Kraft der Freundschaft wieder Mensch,. Aber ein bißchen Wolf hat er tief in sich bewahrt. Das verrät er Lina und rückt am Ende dankbar ganz dicht an sie heran – der Bartwuchs und die tiefe Stimme hätten sie warnen können . . .
Lutz Wendler – Hamburger Abendblatt 5. Dezember 2005